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Ist es diesmal wirklich anders?

21.04.2025

Von Carl Moses, Politik- und Wirtschaftsanalyst für Lateinamerika

Die mit Hilfe des IWF ermöglichte Aufhebung der Devisenkontrollen ist zweifelsohne ein wichtiger Durchbruch der argentinischen Währungspolitik. Doch andere entscheidende Reformen warten weiter auf einen breiten Konsens im Parlament. Wird es diesmal wirklich anders ausgehen in Argentinien?

Das hatte zu diesem Zeitpunkt wohl kaum jemand erwartet: Der „cepo“, Argentiniens enges Devisenkorsett, ist seit dem 14. April 2025 Geschichte – ganz weitgehend zumindest. Möglich wurde der Schritt durch ein in seiner Großzügigkeit ebenfalls überraschendes Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), das nicht nur sehr hohe, sondern vor allem sehr frühzeitige Auszahlungen vorsieht – allein 2025 sollen rund 15 Milliarden US-Dollar an Argentinien fließen, drei Viertel der Gesamtzusagen. Zusammen mit den Beiträgen anderer multilateraler Institutionen erhält Argentinien ein neues Finanzpaket von 42 Milliarden US-Dollar für die nächsten drei Jahre.

Nach den tiefgreifenden Änderungen im Devisensystem darf der Peso nun zwischen 1.000 und 1.400 pro US-Dollar schwanken. Die Bandbreite wird monatlich um 1 % nach oben und unten erweitert. Die Zentralbank darf innerhalb dieser Spanne Dollar kaufen, aber nicht verkaufen – andere Interventionen zur Verringerung von Volatilität bleiben zulässig. Der private Dollarerwerb ist wieder erlaubt, Unternehmen dürfen ab 2025 wieder Dividenden und Zinsen überweisen, aus den Vorjahren ausstehende Gewinnüberweisungen können in eine weitere Anleihe der Serie BOPREAL umgetauscht werden. Importzahlungen sind weitgehend normalisiert.

Argentiniens Geld- und Haushaltspolitik soll unterdessen noch restriktiver werden, um die Inflation einzudämmen. Die Zentralbank soll bis Jahresende 8,9 Milliarden Dollar an Reserven aufbauen, der Primärüberschuss des Staatshaushalts wurde von 1,3 % auf 1,6 % des BIP erhöht. Kurzfristig drohen Bremsspuren bei Realeinkommen und Konsum – mittelfristig sollen vor allem Investitionen und Exporte profitieren.

Euphorie an den Märkten

Führende Investmentbanken äußerten sich durchweg positiv zu dem Maßnahmenbündel. Argentiniens Aktien- und Anleihekurse reagierten mit zweistelligen Kurssprüngen. Nach Aufhebung des „cepo“ pendelte sich der offizielle Wechselkurs mit 1.200 Pesos je Dollar in der Mitte des Bandes ein. Die Differenz zu den parallelen Wechselkursen verschwand weitgehend. Arbitragemöglichkeiten entfallen, während hohe Zinsen, knappe Liquidität und eine klar definierte Wechselkurs-Obergrenze Carry Trades wieder attraktiver machen. Für ausländische Investoren ist der Weg nach Argentinien – und vor allem auch der Rückweg – jetzt wieder offen. Eine Mindestverweildauer von sechs Monaten soll allerdings kurzfristige spekulative Finanzanlagen fernhalten.

Milei, Caputo – und das Gewicht der Geschichte

Investmentbanken wie JP Morgan und Goldman Sachs stellen sich in diesen Tagen wieder einmal die Frage: Ist es diesmal anders? Die Ökonomen von JP Morgan schreiben, das “Bekenntnis zur Haushaltsdisziplin und die Bereitschaft der Regierung Milei, auf politisches Kalkül zu verzichten", sorge dafür, dass es sich diesmal zumindest „anders anfühlt“. Präsident Milei und sein Wirtschaftsminister Luis Caputo beantworten die Frage vehement mit Ja. „Kommt mir nicht damit, dass ihr das alles schon mal gesehen habt – denn diesmal ist es wirklich anders“, so Milei.

Historische Vergleiche drängen sich auf. Die Liberalisierung unter Carlos Menem und Domingo Cavallo in der 1990er-Dekade geriet nach sechs Jahren ins Straucheln – und endete 2001 im Währungs- und Finanzcrash. Der „Gradualismus“ unter Mauricio Macri hielt keine drei Jahre. Auch damals spielte Caputo eine zentrale Rolle – und scheiterte am Streit mit dem IWF über die Währungspolitik. Heute ist das Verhältnis Caputos zum IWF offenbar besser. In den viele Monate langen Verhandlungen scheint ein wechselseitiges Verständnis gewachsen zu sein. Für Caputo ist das neue Paket sein Meisterstück – gestützt auf einen Präsidenten, der jenen politischen Rückhalt bietet, der Caputo unter Macri fehlte.

Noch ungelöste Aufgaben

Dennoch: Die ganz großen Reformen stehen weiterhin aus. Es war in Argentinien immer einfacher, den Außenhandel zu liberalisieren als das Steuer- oder Arbeitsrecht zu reformieren. Auch der föderale Finanzausgleich und die Rentenfrage bleiben ungelöst. Ohne breiten Konsens im Parlament sind diese Strukturreformen nicht zu schaffen.

Die Unterstützung durch IWF & Co. hat vor allem Zeit gekauft. Nun zählt die Politik. Der Rückgang der Inflation und die Stabilisierung der Realeinkommen sind bisher die einzigen Erfolge Mileis, die für die Bevölkerung spürbar sind. Sollte Milei hier einen Rückschlag erleiden, könnte das seine Popularität und die Erfolgschancen seiner Partei „La Libertad Avanza“ bei den Parlamentswahlen im Oktober schmälern. Die vielen politischen Rückschläge und Missgeschicke im ersten Quartal, die Mileis Popularität erstmals deutlich reduziert haben, dürften durch die Aufhebung des „cepo“ zwar vorerst in den Hintergrund treten, aber kaum in Vergessenheit geraten. Milei bleibt zudem unberechenbar. Nach einem staatsmännischen Auftritt am Tag der Devisenfreigabe folgten wenige Tage später neue, kaum erklärbare Aggressionen gegen Ökonomen und Medienvertreter.

Risiken für Argentinien und den IWF

Das größte Risiko ist zunächst einmal die von der Abwertung ausgelöste Inflation. In Argentinien schlagen sich Abwertungen traditionell besonders schnell und stärker als in anderen Ländern in allen Preisen nieder – auch bei Gütern ohne Importanteil oder sogar bei rein inländischen Dienstleistungen, bei denen dies kaum zu begründen ist. Angesichts dieser in Argentinien besonders schnell drehenden Spirale aus Abwertung und Inflation besteht auch die Gefahr, dass der Wechselkurs bald den oberen Rand der Bandbreite erreicht. Die Regierung könnte dann versucht sein, mit IWF-Geldern einzugreifen, um den Peso zu stützen – der dann gemessen an der inländischen Inflation schnell wieder als überbewertet gelten könnte. Das wäre gefährlich: Zu oft wurden in Argentinien IWF-Mittel verwendet, um Kapitalflucht zu finanzieren – etwa wenn internationale Anleger ihre lukrativen Carry-Trade-Positionen plötzlich auflösen.

Auch der IWF selbst geht in Argentinien ein erhebliches Risiko ein. Sollte die Wirtschaft nicht dauerhaft anspringen, dürften die Zweifel an der Rückzahlungsfähigkeit Argentiniens wieder zunehmen. Seit dem umstrittenen Großkredit von 2018 ist der IWF so stark in Argentinien engagiert, dass er sich kaum leisten kann, das Land erneut fallen zu lassen.

Im geopolitischen Schachspiel

Große Risiken drohen aus dem globalen Umfeld. Für ein Hochrisikoland wie Argentinien ist das Chaos, das die amerikanische Regierung in den letzten Wochen in der Weltwirtschaft ausgelöst hat, grundsätzlich Gift. Aber immerhin profitiert Argentinien offenbar davon, dass Milei früh und demonstrativ auf Donald Trump setzte – und heute selbst die umstrittensten Maßnahmen Trumps wohlwollend kommentiert oder ignoriert. So reiste der amerikanische Finanzminister Scott Bessent nach dem IWF-Deal persönlich nach Buenos Aires, um Mileis Politik zu loben.

Auch die angekündigten Zollverhandlungen mit den USA könnten für Argentinien positiv verlaufen. Weil auch der große Nachbar Brasilien an einer glimpflichen Behandlung bei Trumps „reziproken Zöllen“ interessiert ist, könnten die Verhandlungen sogar zu einem Freihandelsschub zwischen den USA und Mercosur führen. Die Europäische Union würde in diesem Fall das Nachsehen haben – wenn das EU-Mercosur-Abkommen nicht zügig in Kraft gesetzt wird.

China, Argentiniens wichtigster Handelspartner nach Brasilien, könnte in dem neuen Umfeld ein geopolitisches Problem für Milei werden. Den USA ist der chinesische Einfluss in Südamerika ein Dorn im Auge. In Argentinien hat die Trump-Administration vielleicht den größten Hebel, um gegenzusteuern – und Milei zeigt sich gegenüber Washington auffallend willfährig. Könnte Milei seine Haltung zu China abermals ändern, die sich gerade erst von ideologischer Ablehnung zu pragmatischer Kooperation gewandelt hatte?

RIGI: Ein Schlüssel zum Aufschwung?

Ein deutscher Lobbyist wies kürzlich darauf hin, Argentinien müsse sein hoch attraktives RIGI-Förderregime für Großprojekte im Ausland besser erklären – auch mittelständische Zulieferer könnten davon profitieren. Anders als andere Reformmaßnahmen wurde das RIGI nicht per Dekret eingeführt, sondern vom Kongress gesetzlich verankert. So ist es der vielleicht wichtigste Hebel, um Investitionen rasch ins Rollen zu bringen. Bisher konzentrieren sich die im Rahmen des RIGI angemeldeten Projekte auf die Öl- und Gasindustrie sowie den Bergbau. Doch viele andere Sektoren kommen infrage. So will Volkswagen sein neues Pickup-Projekt mit Investitionen von 580 Millionen Dollar im RIGI anmelden. Argentiniens Importe von Ausrüstungsgütern steigen bereits deutlich. In den letzten drei Monaten lagen sie um 80 % über dem Vorjahreswert – ein klares Indiz für anziehende Investitionen.

Auch der „Economist“ lobt die Reformagenda von Präsident Javier Milei als möglicherweise historischen Wendepunkt – Argentinien sei „so nah wie nie zuvor“ an einer Normalisierung seiner Wirtschaft. Vieles ist diesmal tatsächlich anders. Der „cepo“ ist gesprengt, der Weg scheint frei. Doch ob Argentinien diesmal wirklich ankommt, ist noch offen.

 

Kontakt: Carl.Moses(at)gmx.nethttps://www.linkedin.com/in/carl-moses/