Ein Abkommen, das niemand will, aber alle brauchen

21.03.2022

Argentinien braucht das IWF-Abkommen, um Schlimmeres zu verhüten. Der Währungsfonds springt über seinen Schatten und will nicht noch einmal in Argentinien scheitern. Garantiert ist der Erfolg des neuen Abkommens keineswegs, aber den Versuch ist es wert.

Nach zwei Jahren mühsamer Verhandlungen ist das neue Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) endlich auf der Zielgeraden. Die Refinanzierung von 45 Milliarden Dollar Schulden und die Vermeidung eines Zahlungsausfalls gegenüber dem IWF scheint damit gesichert. Vorerst jedenfalls. Denn im argentinischen Kongress, der jeden neuen IWF-Kredit genehmigen muss, konnte lediglich ein absoluter Minimalkonsens gefunden werden.

Eine klare Mehrheit stimmte im Abgeordnetenhaus zwar dafür, das neue Geld des IWF anzunehmen, um die alten Schulden gegenüber dem Fonds zurückzahlen zu können. Doch die meisten Stimmen für die Genehmigung der Kreditaufnahme kamen aus der Opposition. Die Regierungskoalition der “Front Aller” (FdT) ist dagegen tief gespalten. Der Block um Cristina Kirchner und ihren Sohn Máximo stimmte gegen den IWF-Kredit, ebenso wie die Oppositionsparteien am linken und rechten Rand des politischen Spektrums.

Um die Zustimmung der gemäßigten Opposition zu der Kreditaufnahme zu ermöglichen, musste zudem das im Rahmen der Verhandlungen gegenüber dem IWF zugesagte Wirtschaftsprogramm der Regierung komplett aus dem Text des Genehmigungsgesetzes herausgetrennt werden. Nur eine Minderheit der argentinischen Politiker steht also hinter den Zusagen von Wirtschaftsminister Marín Guzmán an den IWF. Der vom IWF erbetene breite politische Konsens über die Wirtschaftspolitik konnte mithin nicht erreicht werden. Und obwohl Ökonomen die Auflagen des IWF als überraschend lax einstufen, rechnen viele Beobachter nicht damit, dass die vereinbarten Ziele für den schrittweisen Abbau des Staatsdefizits und dessen Finanzierung durch Überweisungen der Zentralbank erreicht werden können.

Bei jeder der vierteljährlichen Überprüfungen der Zielerfüllung durch die Fachleute des IWF, die vor der jeweiligen Entscheidung über die Freigabe neuer Auszahlungen von Kredittranchen anstehen, könnte es darum zu neuen Konflikten mit dem IWF kommen - und vor allem zu neuen innenpolitischen Auseinandersetzungen in Argentinien selbst. Spätestens im Vorfeld der Präsidentenwahlen im Oktober 2023 dürfte dieser Sprengstoff an Schärfe gewinnen.

Bis zum Beginn der Kampagnen für die Vorwahlen bleibt wenig mehr als ein Jahr, um Argentiniens Wirtschaft auf Stabilitätskurs zu bringen. Grundlegende Reformen, etwa des Arbeitsrechts oder der Rentenversicherung, stehen gar nicht erst auf dem Programm, wie Präsident Alberto Fernández nach der Einigung mit dem IWF ausdrücklich betonte. Einen großen Wurf für Argentiniens Zukunft sieht in dem Abkommen darum niemand.

Auch über Argentiniens Staatsschulden wird spätestens in ein paar Jahren abermals neuverhandelt werden müssen. Die Prämien für Kreditausfallversicherungen (CDS) für argentinische Staatsanleihen signalisieren, dass die Marktteilnehmer mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 90 Prozent eine neue Staatspleite innerhalb der nächsten fünf Jahre erwarten.

Doch wenigstens fürs Erste könnte der IWF-Deal die Voraussetzung schaffen, eine noch schwerere wirtschaftliche und soziale Krise in Argentinien zu vermeiden. Gemäß dem von der Zentralbank ermittelten Konsens der Wirtschaftsexperten wird für 2022 eine reale Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um 3 Prozent erwartet. Der Einbruch während des langen Corona-Lockdowns 2020 wurde bereits 2021 durch ein BIP-Wachstum um 10 Prozent ausgeglichen. Besonders kräftig erholten sich die verarbeitende Industrie und das Baugewerbe. In der Industrie wurden drei Jahre Rückgang der Produktion aufgeholt.

Die Bauwirtschaft, die Kfz-Industrie und der Maschinenbau profitieren nicht zuletzt von der anhaltenden Flucht in Sachwerte vor Abwertung und Inflation. Der weiteren Erholung sind jedoch enge Grenzen gesetzt. Eine Konjunkturflaute beim wichtigsten Handelspartner Brasilien dämpft die Exportchancen der argentinischen Industrie. Auch nach Abschluss des IWF-Abkommens bleiben Devisen knapp und die Risikoaufschläge in Anleihe- und Kreditzinsen für Argentinien prohibitiv hoch.

Die kriegerische Zuspitzung des Russland-Ukraine-Konflikts betrifft Argentinien vornehmlich durch die Explosion der Rohstoffpreise. Während Argentiniens Landwirtschaft von den hohen Agrarpreisen profitiert, könnte der Anstieg der Öl- und Gasrechnung vor allem für den Finanzminister zum Problem werden. Der mit dem IWF vereinbarte Abbau der Energiesubventionen wird dadurch noch schwerer. Argentinien dürfte nun alles daransetzen, die Förderung seiner riesigen Schiefergasreserven hochzufahren. Ein entsprechendes Förderregime für Investitionen ist offenbar in Vorbereitung.

Für Deutschland und seine Unternehmen bleibt Argentinien trotz der politisch, wirtschaftlich und sozial fragilen Lage ein wichtiger Partner, gerade in langfristiger Projektion. Nach dem Abschluss des IWF-Abkommens können die strukturellen Schwerpunkte der bilateralen Zusammenarbeit wieder in den Vordergrund rücken, etwa die Unterstützung der digitalen Transformation in Argentinien, die Kooperation bei Bildung und Wissenschaft und vor allem die gemeinsame Bewältigung der globalen Energiewende.

Gerade nach dem Ausbruch des Russland-Ukraine-Konflikts könnte Argentinien als Energiepartner für Deutschland und Europa an Bedeutung gewinnen. Kaum sonst wo in der Welt wird grüner Wasserstoff in Zukunft so kostengünstig produziert werden können wie in Argentinien und anderen Ländern Südamerikas. Ein geplantes Gesetz zur Förderung der Wasserstoffindustrie steht laut Ankündigung von Präsident Fernández auf der Prioritätenliste der Regierung.

Auch die Aussichten für die Vollendung und Inkraftsetzung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur könnten sich durch den Ukraine-Konflikt verbessern. Die Welt ordnet sich gerade neu. In Deutschland und Europa kommt in dieser viel beschworenen “Zeitenwende” sehr vieles in Bewegung. Warum sollte da nicht auch der Ratifizierungsprozess für das Mercosur-Abkommens an Fahrt gewinnen?

Kontakt: Carl Moses | Carl.Moses(at)gtai.de